„Ding Dong“… das Smartphone weckte mich Sonntag morgen um 4:30 Uhr mit chilligen Tönen… aber ich konnte vor Anspannung ohnehin kaum schlafen… ein kurzer Blick durch das Fenster nach Süden Richtung Italien und auf das vorhergesagte Wetter am Stilfser Joch verkünden, daß dies ein super Tag werden wird, nicht zu heiß, gegen Mittag ein bißchen Regen…
Am Samstag zuvor hatte es sich noch schön abgeregnet, heute soll es zumindest auch bis nachmittag warm und trocken bleiben.
… vor einem Jahr meinten noch diverse Radlkumpels zu mir, den Dreiländergiro in Nauders muß man unbedingt mal gefahren sein, die Landschaft und das kameradschaftliche Miteinander trotz der Zeitnahme seien ein Traum. Und außerdem sei das Stilfserjoch ein ‚must have‘ eines jeden ambitionierten Radler’s, egal ob mit dem Rennrad oder auf einem MTB…
So hatte ich mich bereits Mitte 2015 auf den Newsletter des Veranstalters setzen lassen, um ja nicht aufgrund des begrenzten Teilnehmerkontingents von 1.500 Fahrern je Strecke die Anmeldung für die interessantere und längere Strecke-A über 168km und 3.300 Höhenmeter (gemäß Veranstalter, mein Navi zeigte im Ziel >3.600hm an) zu verpassen…
Auch galt es, über den Tipp eines Clubkollegen, in Nauders direkt vor Ort noch rechtzeitig ein schickes Hotel zu buchen. Schließlich möchte man entspannt am Vortag anreisen und auch frisch geduscht Abends an der offiziellen Siegerehrung teilnehmen…
Je näher der Termin rückte umso kribbeliger wurde es dann auch im Bauch, schaffe ich die ca. 1.800 Höhenmeter am Stück zum Stilfserjoch ohne das Rad schieben zu müssen und auch die restliche Wegstrecke über den Ofenpaß ist ja nicht ohne erhebliche Anstiege zu meistern. Aber ich dachte mir, wenn dies tausende anderer Radler schon geschafft hatten warum sollte ausgerechnet ich scheitern… ich bin zwar vorher noch nie mehr als 400hm am Stück den Berg raufgeradelt, aber so what… >10.000km auf dem Rad in 2015 sah ich als ausreichendes Training an…
Zwei Wochen vorher dachte ich mir noch, das Material sei gerüstet für die Anstiege… bis mir einfiel, mit einem Ritzelpaket 11/26 bräuchte ich dafür Beine und den Trainingsstatus wie ein Tour de France Profi. Also schnell noch am Wochenende zuvor 11/32 und ein passendes Schaltwerk drauf montiert, somit sollte es funktionieren. Hat es dann auch, mußte am Stelvio (entgegen manch anderen) weder schieben und habe auch nur kurz einen Fotostop eingelegt…
Für mich persönlich hatte ich mir das Ziel gesetzt, unabhängig von den 2.999 anderen Teilnehmern einfach ins Ziel zu kommen, ohne sich physisch kaputt zu machen oder im Ziel mit Krämpfen vom Rad zu fallen… Genuß in den Bergen muß auch sein, nicht nur ‚im Tunnel fahren‘, die Platzierung ist trotz offizieller Zeitnahme Nebensache. Auch wenn dies offiziell ein Radrennen ist, ich fahre nur gegen mich selbst, den inneren Schweinehund, gegen scheiß müde Beine und nicht gegen die anderen.
Ein Clubkamerad gab mir noch den Tipp, ich solle mir einfach eine ‚Frauengruppe‘ suchen, da diese in der Regel entspannter fahren und nicht so Testosteron gesteuert sind wie so manch anderer im Fahrerfeld… und ja keine Verpflegungsstation auslassen, Bananen und Kuchen futtern bis zum Abwinken!!! Hat man erstmal Hunger ist alles zu spät… nun denn, für den Notfall hat man ja ohnehin noch Powergels und -Riegel in der Trikottasche.
Auf alle Fälle waren Samstags am Tag der Anreise schon ziemlich viel Ambitionierte im Ort, um nicht zu sagen Übermotivierte. Die waren zum Teil schon genervt, wenn man ihnen in dem kleinen Ort Nauders mit dem Auto in die Quere kam, aber irgendwie muß man ja mit dem ganzen Zeug auch zum Hotel kommen. Ich habe es ruhig angehen lassen und erst mal kurz den Reschensee gecheckt, den obligatorischen Kaffee- und Kuchenstop eingelegt und das war es dann auch schon… das Rad ruhte sich währenddessen im Hotelzimmer aus…
Nach einem ausgiebigen Frühstück Sonntag morgens um 5:00 Uhr im Hotel auf einmal *Bääääng*… rockige Töne von AC/DC hallen durch das Tal, so geil kann also auch ein Radrennen gestartet werden… 🙂
Der erste Anstieg zum Warmwerden aus Nauders heraus über den Reschenpaß ging dann auch zügig im Pulk voran und nach einer längeren Abfahrt ging es nach 36km in Prad auf 900m Höhe gelegen auch schon Richtung Stilfser Joch in 2.797m Höhe… alleine die Höhe und die damit verbundenen etwaigen Probleme mit der Sauerstoffversorgung sind bereits respekteinflößend. Und das Ganze zieht sich in 48 endlosen Kehren nach oben, Mitzählen oder auf die Schilder schauen mag da eigentlich keiner mehr.
Jetzt hieß es, sich nur auf sich selbst zu konzentrieren, was die anderen um einen herum treiben muß einem völlig egal sein… immer schön den Puls und das Wattmesser im Blick haben, bloß nicht überpowern, mit dem Ofenpaß auf 2.149m und dem letzten Anstieg am Ende über die Norbertshöhe wieder nach Nauders rauf stehen noch weitere Herausforderungen nach dem Stilfserjoch an.
Spezl Jürgen ist ein paar Wochen vorher mit 10kg Gepäck in 3h das Timmelsjoch hochgefahren, von den Höhenmetern mit dem Stelvio vergleichbar… er meinte, ich schaffe den Stelvio ohne Gepäck in 2.5h… aber ich fahre so schnell ohne Gepäck wie er mit, knapp 3h?!? Oben angekommen erstmal am Verpflegungsstand für ausreichend Kalorienzufuhr gesorgt und ein Foto für die Geschichtsbücher gemacht:
Da es auf der italienischen Seite des Stelvio dann zu graupeln anfing schnell noch die Regen- und Windjacke angezogen, um auf der folgenden langen Abfahrt über den Umbrailpaß nicht auszukühlen.
Ohne plötzliche Unwetter scheint es im hochalpinen Gebirge jedoch nicht zu gehen, auf der Abfahrt vom Ofenpaß hat es dann dermaßen geschüttet, daß das Wasser ziemlich hoch auf der Straße stand. Höchste Vorsicht war also angesagt… vor allem als ich mit Schrecken feststellen mußte, daß meine Bremsen unter diesen Bedingungen komplett ausfielen. Ich bin dann irgendwie im Schrittempo den Paß runter, was mich sicherlich auch sehr viel Zeit kostete… aber egal, hauptsache es ging jetzt weiter, vor Kälte und Nässe fing ich an zu zittern und war froh, zum Warmwerden endlich wieder in die Pedale treten zu können…
Dafür war es dann im Engadin wieder richtig sonnig und ich konnte sogar die letzten 30-40km bis zum Ziel die Armlinge herunterziehen…
An der Österreichisch-Schweizer Grenze bei Martina an der letzten Verpflegungsstation schnell noch eine kühle, leckere Cola getrunken und den letzten knackigem Anstieg über 11 Kehren und 400hm zur Norbertshöhe hoch… am Anstieg ‚flehte‘ ein komplett kaputter Teilnehmer noch nach einen Powerriegel, den hatte zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Ziel natürlich keiner mehr übrig… einfach keine Verpflegungsstation auslassen war meine wichtige und richtige Devise (s.o.), der arme Kerl kannte diese Regel gegen ’scheiß Beine‘ offensichtlich nicht…
Die letzte Abfahrt von der Norbertshöhe nach Nauders mit dem Zielbogen vor Augen wurde nochmal ausgiebig genossen…
FAZIT des Wochenendes… JEDERZEIT WIEDER, ein nachhaltig super Erlebnis in toller hochalpiner Umgebung… wer es selber einmal erlebt hat wird mich verstehen, alle anderen halten einen ohnehin für verrückt, wie man sich so etwas freiwillig antut!!! Aber wie immer gilt der Grundsatz: Steil ist Geil… 🙂
Schade, dass ich schon zu alt bin für so eine tolle Tour. Meine Bewunderung für Deine Einstellung und sportliche Leistung. Supi.
ich habe leider auch erst viel zu spät gecheckt, wie toll das Radeln ist… hätte zumindest bei diesem Thema auf Alfred hören sollen… 🙂
Eigentlich ist es nie zu spät, mit dem Sport anzufangen und du hast ja wirklich noch rechtzeitig die Kurve gekriegt. Ich freue mich immer wieder über neue Berichte und Fotos von dir. Daumen hoch und weiter so!